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Transnationalität und global governance als Herausforderung für die christliche Sozialethik – Bericht vom Berliner Werkstattgespräch der deutschen Sozialethiker und Sozialethikerinnen (23. bis 25. Februar)

Transnationalität und global governance als Herausforderung für die christliche Sozialethik – Bericht vom Berliner Werkstattgespräch der deutschen Sozialethiker und Sozialethikerinnen (23. bis 25. Februar)

Petr Štica

 

 

Seit 15 Jahren treffen sich jedes Jahr Ende Februar in der Katholischen Akademie in Berlin christliche Sozialethiker und Sozialethikerinnen aus dem deutschsprachigen Raum, um ein aktuelles gesellschaftliches, politisches und wirtschaftliches Thema in den Fokus zu nehmen und aus der ethischen Perspektive zu diskutieren. Dieses Treffen, das dieses Jahr vom 23. bis 25. Februar stattfand, basiert jeweils auf einer monothematisch ausgerichteten Tagung, ist aber zugleich generell eine besondere Gelegenheit zu einem wissenschaftlichen Austausch der theologischen Sozialethiker und Sozialethikerinnen bezüglich der gesellschaftlichen Fragen, die für die zeitgenössische katholische Sozialethik wichtig und brennend sind. Dieses Jahr nahmen sich die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft der Christlichen Sozialethiker und Sozialethikerinnen im deutschsprachigen Raum vor, ein Thema zu diskutieren, das in der immer mehr vernetzten Welt nicht ausgeblendet werden kann – Transnationalität und transnationale politische Strukturen, also das Themenfeld, das Politik- und Sozialwissenschaften spätestens seit den 1980er Jahren unter dem Stichwort global governance zusammenfassen. Auf der einen Seite ist augenscheinlich, dass die Globalisierungsprozesse entsprechende politische Steuerung benötigen, was an der Existenz der Vereinten Nationen mit ihren diversen Kommissionen und Gremien gut abzulesen ist. Auf der anderen Seite ist es unübersehbar, dass diese enorme politische Herausforderung an unterschiedlichen Stellen „klemmt“. Als Beispiel kann hier der UN-Sicherheitsrat angeführt werden, dessen Form die Machtverhältnisse und die Situation unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg widerspiegelt, am Beginn des 21. Jahrhunderts jedoch nicht plausibel ist und politische Lösungen in sicherheitspolitischen Fragen faktisch häufig blockiert. Da jedoch Globalisierung ohne globale politische Ordnung kaum denkbar ist, stehen heutige Politik und Zivilgesellschaft zweifelsohne vor der Herausforderung, wie zeitangemessene globale Strukturen zu gestalten sind.

Ingeborg Gabriel aus Wien führte am Anfang der Tagung aus der ethischen Perspektive in dieses äußerst komplexe Thema ein. Sie identifizierte dabei insbesondere drei Probleme – a) die defizitäre demokratische Legitimierung der „global governance-Strukturen“; b) die heutzutage steigenden gegenläufigen Tendenzen und Bewegungen (z. B. „nationalstaatliche Rückzugstendenzen“ in einigen europäischen Ländern) und c) die Tatsache, die am Beispiel des UN-Sicherheitsrates bereits erwähnt wurde, nämlich, dass die aktuellen globalen politischen Strukturen den aktuellen politischen Gegebenheiten nicht entsprechen. Gabriel fand den Weg in der Vertiefung des Völkerrechts, Stärkung der internationalen Solidarität und Gerechtigkeit sowie in den gesellschaftlichen Debatten über moralische Grundlagen von global governance.

Die darauffolgenden Vorträge gingen das Thema aus der Perspektive einzelner Problemfelder an. Johannes Wallacher aus München (Hochschule für Philosophie) stellte die Post-2015-Agenda vor, die im Anschluss an die Millenium Development Goals Entwicklungsziele u. a. unter dem Stichwort „Nachhaltige Entwicklung“ weiter entfaltet. Dirk Sauerland (Universität Witten/Herdecke) beschäftigte sich mit Transnationalität aus der Perspektive der Ökonomik. Politikwissenschaftler Jens Steffek (TU Darmstadt) nahm in seinem Referat das internationale Regieren und zugleich das Gemeinwohl in den Fokus. Gemeinwohl spielte ebenso eine wichtige Rolle in den Ausführungen Michael Lysander Fremuths (Rechtwissenschaftler an der Universität zu Köln). Seinen Ansichten nach ist es unverkennbar, dass sich das Völkerrecht in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat (vgl. Gerichtshöfe für Menschenrechte, Völkerstrafrecht). Die notwendige weitere Entwicklung des Völkerrechtes benötigt jedoch nicht nur ein weiteres intensives politisches und zivilgesellschaftliches Engagement, sondern auch angesichts der Dynamik der Prozesse Zeit. Eine der Schlüsselfragen ist dabei die Begründung und die materielle Reichweite der Menschenrechte, welche die Grundlage des Völkerrechts darstellen.

In den kleineren Arbeitsgruppen wurden weitere Themen, wie transnationale Steuerung der internationalen Migration, ethische Fragen der Weltwirtschaft und des Welthandels sowie der aktuellen internationalen Sicherheitspolitik intensiv diskutiert. Die Bandbreite der dargestellten Themen rundete der Münchener Philosoph Michael Reder ab, der sich auf die Frage fokussierte, welche „Form der ethischen Theorie“ für transnationales Regieren hilfreich sein könne. Seiner Ansicht nach gehen die philosophischen Theorien, welche die „übliche Grundlage“ für die politische Ethik des globalen Regierens darstellen, in der Realität von einem nationalstaatlichen Kontext aus und setzen eine gewisse Homogenität voraus. Reder stellt dagegen ein „induktives Vorgehen“ als einen plausiblen und Verstehen ermöglichenden Weg dar, der voraussetzt, dass man an den (unterschiedlichen) Erfahrungen ansetzt und anschließend – ähnlich wie dies H. Joas bei der Genealogie der Menschenrechte gemacht hat oder wie es die pragmatistische Philosophie tat – die „Normativität zu rekonstruieren“. Theologische Ethik kann sich bei diesem Such- und Verständigungsprozess bezüglich der Grundlage einer globalen politischen Ordnung als begleitende reflexive Wissenschaft erweisen.

In den Diskussionen, die den Vorträgen folgten, wurde mehrmals die Rolle des Staates, dem in mehreren Beiträgen weiterhin eine Schlüsselrolle zugeschrieben wurde, in den sich verändernden politischen und wirtschaftlichen Bedingungen aufgegriffen. Außerdem standen besonders die Menschenrechte als Grundlage der transnationalen und globalen Politik im Fokus. Es hat sich deutlich gezeigt, dass angesichts der Komplexität der Problemlage nur eine Lösung möglich ist, die diese Komplexität mitberücksichtigt und nach moralischen Grundlagen der globalen/transnationalen Politik sucht. Diesen Herausforderungen sollten sich sowohl Theologie (insbesondere die theologische Ethik) als auch die katholische Kirche, die einen global player darstellt und zugleich lokal verwurzelt ist, sollten diesen Prozess begleiten und mitgestalten.